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Joachim Kahls weltlicher Humanismus
Eine Philosophie für unsere Zeit mit einem weltlich-humanistischen Persönlichkeitsideal als Antwort auf den überbordenden Individualismus unserer Zeit
Mit der Formulierung „Eine Philosophie für unsere Zeit“ wird in der Überschrift nicht nur der Titel, sondern zugleich die Zielrichtung eines Buches von Joachim Kahl, eines deutschen Philosophen, wiedergegeben, in dem er der Frage nach einem zeitgemäßen Humanismus nachgeht. Der Untertitel eines anderen Buches von Kahl verdeutlicht dabei gut Kahls Zielsetzung: „Plädoyer für eine Humanität ohne Gott“. Aufschlussreich ist zudem Kahls biographische Entwicklung: Kahl, 1941 geboren, hatte zunächst in der Theologie promoviert, trat kurz danach aus der evangelischen Kirche aus, weil seine Auseinandersetzung mit dem Christentum und der dazugehörenden Glaubenswelt ihn dazu veranlasst hatten. Er selbst bemerkte hierzu schlicht: „Atheist wurde ich durch mein Theologiestudium“. Auch vom Marxismus, dem er sich danach zunächst zuwandte, distanzierte er sich wieder, – übrigens auch als Folge der historisch-politischen Ereignisse von 1989.
Wichtig erscheint seine heutige Sicht auf den Menschen und unsere Welt:
„In einem Weltall ohne Ziel und ohne Sinn ist es unsere ureigene Aufgabe, unserem flüchtigen Dasein selbst Ziel und Sinn zu verleihen.“
Dieses Ziel zu erreichen ist nach Kahl durchaus möglich, allerdings nur, „wenn wir [sc. Menschen] keine übersteigerten spirituellen Erfahrungen hegen, wie sie Jahrtausende lang von den Religionen genährt worden sind.“ Der Mensch ist für Kahl “fähig zu Freiheit und Vernunft“.
Vor diesem Hintergrund entwickelte Kahl seine weiteren philosophischen Grundüberzeugungen, u.a. in Beschäftigung mit dem sog. Gentleman-Ideal, in dem er ein weltlich-humanistisches Persönlichkeitsideal sieht. Das Gentleman-Ideal verdichtet sich für Kahl in vier Leitmotiven: Selbstbehauptung, Selbstbegrenzung, Fairness, gesunder Menschenverstand. Diese Leitungs- bzw. Handlungsmotive sind für ihn eine Antwort auf den überbordenden Individualismus unserer Zeit. Unter Selbstbehauptung versteht er „Selbsterhaltung durch eigene Anstrengung“; unter Selbstbegrenzung „die nüchterne Einsicht, dass ich nicht der Nabel der Welt bin“; Fairness zielt für Kahl „auf partnerschaftlichen Konflikt- und Interessenausgleich“; und unter gesundem Menschverstand versteht er „das allen Menschen eigene Denkvermögen im Unterschied zu tierischem Instinkt und tierischem Lernverhalten“. Das Gentleman-Ideal, so Kahl weiter, richte an uns nicht das Gebot, unseren Nächsten wie uns selbst zu lieben (wie dies z. B. das Neue Testament etwa im Markus-Evangelium 12,31 vorschreibt). Das Gentleman-Ideal verlange von uns aber sehr wohl, höflich, korrekt und fair mit unserem Nächsten umzugehen, die Formen zu wahren, die bestehenden Umgangs-Regeln zu beachten.
Mit dem Rekurs auf das Gentleman-Ideal wird deutlich, dass es Kahl nicht ausschließlich um eine theoretische Reflexion über den Humanismus und seine verschiedenen Bewegungen geht, sondern auch um dessen Auswirkungen auf die Lebenshaltung im Alltag im zwischenmenschlichen Umgang, also um eine dem Humanismus verpflichtete Lebensweise. Erziehung und Selbsterziehung sind für Kahl der einzige Weg zum Gentleman:
„Als Gentleman wird niemand geboren, zum Gentleman werden wir erzogen und erziehen wir uns selbst.“